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Zur Philosophie des Grün
Statement auf dem Symposium Alpbacher Baukultur-Gespräche 31.8.-1.9. 2012 zum Thema "Lebensräume gestalten - wie lebt man in Zukunft?"

Helga Fassbinder



Wir befinden uns in einer Zeit großer Umbrüche. Es sieht ganz so aus, als ständen wir auch im Bauen am Beginn eines neuen Zeitalters. Die grüne Stadt ist plötzlich ein grosses Thema.

Angesichts von Klimawandel und Energiekrise ist das Begrünen eine kostengünstige und rasche Form der Milderung von Problemen, mit denen Städte in jüngster Zeit immer mehr zu schaffen haben:

Als Massnahme gegen Überschwemmungen durch heftige Wolkenbrüche ist eine Begrünung auf und zwischen Gebäuden zur Regenwasserrückhaltung in relativ kurzer Zeit und zu relativ geringen Kosten realisierbar. Nicht realisierbar ist, alle Strassen der Stadt aufzureißen und Kanalisationsrohre mit größerem Durchmesser zu legen.

Auch als Massnahme gegen die zeitweilig geradezu tropischen Hitzephasen ist Begrünen billiger als airco, zumal bei steigenden Energiepreisen. Untersuchungen haben erbracht, dass Temperatursenkungen bis 13 Grad erreicht werden können.

Also Grün in die Stadt: Das Publikum applaudiert. Schon lange nicht mehr hat ein Thema eine so breite Zustimmung durch alle Schichten der Bevölkerung gefunden. Auch die Politiker haben das begriffen: es gibt praktisch keine Partei mehr, die nicht mit Begrünungsinititativen aufwartet.

 

Nun sind noch einige technischen Probleme zu lösen – aber das ist machbar. Für Dachbegrünungen ist das gelungen. Es wird auch für die Konstruktion von Aussenwänden gelingen, die eine preisgünstige Fassadenbegrünung ermöglichen. Und für Bäume auf eng begrenztem Raum werden derzeit hochkonzentrierte Wachstumssubstrate entwickelt.

Das wird dann ganz von selbst zu einer neuen architektonischen und städtebaulichen Ästhetik führen, zu einer anderen Vorstellung von Schönheit der Stadt.

 

Die meisten Architekten zaudern noch heftig. Sie sind mit anderen architektonischen Idealen ausgebildet worden. Aber auch die Architekten werden sich dem neuen Schönheitsideal begrünter Gebäude zuwenden, sobald die Bauherren ihre Gebäude gegrünt haben wollen. Gegenwärtig wollen die Bauherrn das noch nicht, aber auch das ist eine Frage der Zeit. Ausschlaggebend sind einerseits die Nachfrage von Mietern und Käufern und andererseit die Baukosten und jährlichen Unterhaltskosten.

Dennoch hat die grüne Machbarkeit eine Implikation, die viel weiter reicht, eine Implikation, die unserer Welt einen Stoss geben wird.

Grün ist nämlich kein statisches Element des Bauens, so wie Stein, Stahl, Beton, Glas und Bauholz. Grün ist lebendig. Grün hat eine Eigendynamik. Die bislang so erfolgreich ausgesperrte oder im Zulassungsfall in Parks etc. eingesperrte Natur wird dann breit und ziemlich selbständig auf die städtische Bühne treten. Und das fordert uns zur permanenten Interaktion heraus.

Grün verlangt von uns eine neue Haltung. Prozesse sind dann nicht nur unsere menschlichen Aktivitäten, auch die Gebäude der Stadt werden zu Prozessen.

Grün ist aber niemals allein nur Flora, Grün hat sein Gefolge. Grün impliziert immer auch Fauna: Nicht nur Blätter fallen, auch Vögel scheißen und Spinnen, Käfer und anderes Kleintier bevölkern dann unsere Lebenswelt.

Die Stadtbewohner müssen sich neu ins Verhältnis setzen zu der Invasion von Natur.
Wie man's auch dreht und wendet,
es tendiert zu einer Interaktion unter Gleichen.

Hier beginnt die Philosophie des Grün:

Sie krempelt allerhand um von dem, was wir seit 200 Jahren zu denken gewohnt sind.
Wir sind mit einem mal nicht mehr selbstverständlich die Herren über alles.

Wir müssen erkennen, dass wir nur Teil eines großen umfassenden Ganzen sind, das sich in millionenfachen Zyklen unterschiedlicher Geschwindigkeiten bewegt. Ein anderes Weltbild muss her.

Ganz neu ist so etwas nicht, immer schon gab es in der Geschichte der menschlichen Selbstverortung Ansätze dieser Erkenntnis.

Nun aber leben wir in einer Welt zunehmender Verknappung von Ressourcen. Nun müssen wir uns er Erkenntnis stellen, wie sehr alles Lebendige in dieser Welt zunehmender Verknappung immer zwingender aufeinander angewesen ist. Und nun geht es darum, diese Erkenntnis auch in Handeln umzusetzen – und auch in bauliches Handeln umzusetzen.

Nicht als romantisches Retro-Programm. Sondern als eine kluge Kombination von high tech und low tech, von avanciertesten Technologien und einfachen, traditionellen Verfahren, die auch zu einer erneuen Übernahme von Verantwortung von Bürgern für ihre Stadt führen kann.
“Die Stadt als Natur” ist eine Schule für die Zivilgesellschaft...